Kategorie: weltordnung

  • Goliaths Fluch

    Luke Kemp liefert in seinem neuen buch „Goliath’s Curse“ kein Endzeitdrama, sondern eine Anleitung für robuste Zivilisation: Herrschaft entsteht, wenn leicht greifbare Überschüsse – gestern Getreide, heute Daten – mit Statuswettbewerb und Institutionen zu Beutekartellen verschmelzen; daraus wachsen Ungleichheit und Fragilität. Kemp bündelt Archäologie, Anthropologie und Gegenwartsanalyse zu einem Zyklusmodell bis ins Plattformzeitalter. Die Konsequenz für Nachhaltigkeit: Zugriffe begrenzen, Überschüsse entwaffnen, Statuswettbewerb zivilisieren und Institutionen polyzentrisch stärken. Nicht Moralappelle, sondern Regeln, Infrastrukturen und Anreize, die Kooperation lohnend machen und Missbrauch verteuern – innerhalb planetarer Grenzen. Darin liegt die pragmatische Hoffnung dieses Buches.

    Von Eckard Christiani und Kai Lindemann

    Kemp beginnt nicht bei Königen, sondern bei Dingen, die sich zählen, lagern und besteuern lassen: zunächst Getreide, später Metalle. Bevor der Mensch sesshaft wurde, zog er mit Nahrung und Herden weiter. Es gab kaum Vorräte, die lange an einem Ort lagen. Nichts ließ sich dauerhaft greifen – weder für Räuber noch für Herrscher. Mit der Entstehung von Ackerbau und Dörfern änderte sich das Prinzip: Man erntete viel auf einmal, lagerte Getreide in Speichern und baute Überschüsse auf. Das ist bequem – macht aber auch erpressbar. Wer den Speicher kontrolliert, kontrolliert die Menschen: Er kann zählen, fordern und entziehen.

    Lese-Tipp: Luke Kemp, Goliath’s curse, The history and future of societal collapse, London 2025; Penguin

    An diesem Punkt entstehen Apparate des Zugriffs. Zuerst die Verwaltung: Jemand misst, wiegt und schreibt Listen. Wer hat wie viel, wer schuldet was? Darauf folgt die Erzählung, die rechtfertigt: Priester, Traditionen oder Gesetze, die erklären, warum Abgaben „sein müssen“. Schließlich die Durchsetzung: Wachen, Strafen und Armeen, die dafür sorgen, dass Regeln nicht bloße Worte sind. Aus Zählen, Begründen und Erzwingen wird eine Infrastruktur der Macht. Genau dieses Bündel nennt Kemp „Goliath“ – kein Schurkenstaat, sondern ein wiedererkennbares Geflecht aus Listen, Legenden und Lanzen.

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  • Klimawende rückwärts – Was Trumps Politik für Forschung, Umwelt und Europa bedeutet

    Sandra Navidi hat es kommen sehen. Schon 2017, in ihrem Bestseller Super-hubs, analysierte sie die wachsende Macht globaler Netzwerke in Wirtschaft und Politik. Spätestens mit Die DNA der USA (2022) warnte sie eindringlich davor, dass die USA auf einen Abgrund zusteuern – angetrieben von wirtschaftlicher Ungleichheit, Polarisierung und dem schleichenden Zerfall demokratischer Institutionen.
    Nun, zwei Jahre nach unserem letzten Gespräch, ist aus dem
    „Putsch in Zeitlupe“ ein „Putsch im Zeitraffer“ geworden. Trump ist zurück – aber diesmal ohne Bremsen. Die Checks and Balances? De facto abgeschafft. Die Ukraine? Fallen gelassen. Und Europa? „Wenn Europa nicht aufpasst, ist es das nächste Ziel“, warnt Navidi.
    In diesem großen Interview spricht die Juristin und Unternehmensberaterin, die seit Jahren in New York lebt und die globalen Machtstrukturen aus nächster Nähe kennt, über den autoritären Umbau der USA, Trumps stillen Deal mit Putin, die Rolle der Tech-Eliten und die Frage, ob sich Europa noch retten kann.

    Frau Navidi, Sie haben in der Vergangenheit schon frühzeitig vor den Entwicklungen gewarnt, die die USA heute prägen. Unser letztes Gespräch vor zwei Jahren titelte: „Ein Putsch in Zeitlupe“. Wie fühlt es sich für Sie an, zu sehen, dass viele Ihrer Vorhersagen – nachzulesen in Ihrem Bestseller Die DNA der USA – tatsächlich eingetreten sind? Sehen wir nicht – gerade seit dem 20. Januar dieses Jahres – eher einen Putsch im Zeitraffer?

    Ja, absolut, Herr Christiani. Theoretisch haben wir New Yorker damit gerechnet – und dieses Mal ist Donald Trump besser vorbereitet. Es geht jetzt um den Abbau des Systems in Rekordgeschwindigkeit, und das macht mir Angst. Wir wissen ja, warum er so schnell vorgeht: Er will vollendete Tatsachen schaffen, bevor demokratische Institutionen intervenieren können. Die Menschen sind völlig baff, überfahren, sie fühlen sich hilflos und wissen nicht, was sie tun sollen. Und wir sehen es – es gab bislang kaum Proteste.


    Die Gerichte – also mein Berufsstand – sollen die Demokratie jetzt retten. Aber was nützt ein Urteil, wenn es nicht vollstreckt werden kann? Wenn Trump sich nicht an Urteile hält, können Sie so viele US-Marshals schicken, wie Sie wollen – die werden weder den Präsidenten noch Elon Musk in Handschellen legen.

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