Schlagwort: biodiversitätskrise

  • beyond climate change Klimafuturologie & Eurotopia

    Wie Europa in der Heißzeit zum Reallabor der Resilienz werden kann

    Die Heißzeit kommt – ob wir wollen oder nicht. Die Frage ist nicht mehr, ob wir die Erderwärmung komplett verhindern, sondern wie wir in einer heißeren, verletzlicheren Welt zivilisiert leben können. Genau hier setzt unser Signature Theme beyond climate change von beyond new an: Wir entwerfen ein Zukunftsbild Europas, das der Härte der kommenden Jahrzehnte ins Auge sieht – und trotzdem Räume für Würde, Freiheit und ein gutes Leben eröffnet.

    von beyond ne

    Worum es geht – und warum jetzt

    Wir leben in einer Epoche, in der sich die Referenzwerte unseres Lebens verschieben: Hitzesommer, die früher „Jahrhundertereignisse“ hießen, werden zur Normalität. Fluten, Dürren, Ernteausfälle, Migrationsbewegungen und geopolitische Spannungen greifen ineinander. Die Klimaerwärmung ist dabei nicht mehr nur eine Krise unter vielen, sondern die Leitkrise einer planetaren Polykrise: Sie verschärft fast alle anderen Konflikte – von Ressourcenknappheit über Sicherheitsfragen bis zu Demokratiekrisen.

    Gleichzeitig bleibt Europa eine der wenigen Weltregionen, in der demokratische Institutionen, wissenschaftliche Innovationskraft, Wohlstand und eine pluralistische Kultur noch zusammenkommen. Genau deshalb ist Europa prädestiniert für eine doppelte Rolle:

    • als Reallabor der Klimaanpassung, in dem wir ausprobieren, wie eine klimaresiliente Zivilisation funktionieren kann,
    • und als Schutzraum für Aufklärung, Menschenrechte und demokratische Kultur in einer härter werdenden Welt.

    beyond climate change fragt: Wie sieht ein Europa aus, das in der Heißzeit nicht nur überlebt, sondern ein neues Modell von Resilienz und Kooperation entwickelt?

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  • Wenn das Meer kippt

    Sven Plöger über die Erwärmung der Ozeane, Wasserknappheit und wirtschaftlichen Auswirkungen

    Nie zuvor haben sich die Weltmeere so schnell erwärmt wie seit 2023. Der Meteorologe und ARD-Moderator Sven Plöger war auf Forschungsreisen in Panama, im ewigen Eis Grönlands und ist gerade im Mittelmeerraum unterwegs. Seine Beobachtungen zeigen, wie eng das Klima und die Stabilität der Weltwirtschaft miteinander verflochten sind.

    von Eckard Christiani

    Als Meteorologe kennt Sven Plöger die Daten. Doch manchmal sind es nicht die Zahlen, die ihn am meisten bewegen, sondern das, was er mit eigenen Augen sieht und mit eigenen Ohren hört. Etwa wenn in Grönland ein Gletscher kalbt – und das Geräusch so gewaltig ist, dass man es in keiner Fernsehsendung angemessen wiedergeben kann. „Ich stand auf dem Eis, umgeben von Hunderten Kilometern gefrorenem Wasser – und wusste: 29 Millionen Tonnen Eis verlieren wir – pro Stunde. Das sind Dimensionen, die kaum zu begreifen sind.“

    Sven Plöger, © Maike Simon

    Oder wenn er über dem Urwald von Panama schwebt und inmitten tropischer Pflanzen plötzlich versteht, was „Stress“ für ein Ökosystem wirklich bedeutet. „Es ist ein Unterschied, ob man etwas liest – oder mitten in der Landschaft steht“, sagt Plöger. In Panama beeindruckte ihn besonders das direkte Nebeneinander von Urwald, Millionenstadt und Weltwirtschaft. Der Panama-Kanal, zentrales Nadelöhr des globalen Handels, war wiederholt eingeschränkt – nicht wegen Technik, sondern wegen Wassermangel. „Vor dem Kanal stauten sich Frachtschiffe, weil sie nicht einfahren konnten“, erzählt er. „Der Gatúnsee, der den Kanal mit Süßwasser speist, konnte nicht mehr ausreichend Süßwasser zur Verfügung stellen.“ Verstärkt wurde das Problem durch den menschengemachten Klimawandel und den aktuellen El-Niño-Zyklus. Da der Kanal kein Salzwasser aufnehmen kann – es würde das Ökosystem und die Schleusenmechanik beschädigen –, ist er vollständig auf Süßwasser angewiesen.

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  • „Wir stehen an der Schwelle der ersten Kipppunkte“

    Die DMG und DPG warnen vor plus drei Grad bis 2050 als Worst Case. Was das wirklich bedeutet, welche Kippelemente jetzt in Reichweite sind – und wie positive Kipppunkte in Energie, Mobilität und Wärme zum Selbstläufer werden.

    Drei Grad bis zur Mitte des Jahrhunderts: lange galt das als eher theoretische Möglichkeit. Jetzt warnen Meteorologinnen und Physiker gemeinsam, dass dieser Pfad unter gebündelt ungünstigen Annahmen erreichbar ist. Zugleich zeigen Daten: Erneuerbare wachsen so stark, dass sie den Mehrbedarf teils übertreffen – die Chance, fossile Kapazitäten tatsächlich zurückzubauen, ist real.

    Eisschilde, Meereszirkulation und Korallenriffe reagieren träge, aber konsequent – genau deshalb zählt jede vermiedene Tonne doppelt. Und genau deshalb lohnt auch der Blick auf positive Kippschwellen: Solar, Batterien und Wärmepumpen können in die S-Kurve kippen, wenn Politik Parität, Mandate und Marktzugang klug verzahnen würde.
    Über genau diese Risiken und Chancen haben wir mit
    Benjamin von Brackel gesprochen. Er hat soeben mit Toralf Staud das Buch „Am Kipppunkt“ veröffentlicht – ein Buch, das die harte Physik hinter den Kipppunkten verständlich macht und zugleich ein sehr praktisches Playbook liefert, wie positive Kippschwellen in Technik, Wirtschaft und Gesellschaft gezielt gezündet werden könnten.

    von Eckard Christiani

    Benjamin, Ende September haben die DMG und die DPG gewarnt: Im Worst Case könnten wir schon bis 2050 bei plus drei Grad landen. „Wir fliegen aus der Klimakurve“, sagte Frank Böttcher. Mir ist wichtig, dass unsere Leser:innen das richtig einordnen: Es geht nicht um das wahrscheinlichste Szenario, sondern um einen Risikokorridor. Als Faustregel: Um von heute grob plus 1,5 Grad auf drei Grad zu kommen, bräuchten wir in weniger als 25 Jahren rund 1,5 Grad zusätzliche Erwärmung. Das entspräche etwa 0,07 Grad pro Jahr – oder rund 0,6 Grad pro Dekade – also mehr als doppelt so schnell wie der derzeitige Trend. Wie siehst du das? Und was hieße plus drei Grad ganz praktisch?

    Um bei einer Erwärmung von drei Grad bis 2050 herauszukommen, müsste schon ein ganzes Bündel an unglücklichen Faktoren zusammenkommen. Heißt: Die Erde reagiert am oberen Rand der Schätzungen auf CO₂, Wolken verstärken die Erwärmung stärker als gedacht, der kühlende Effekt mancher Luftschadstoffe fällt schneller weg, die Emissionen bleiben hoch – und obendrauf kommen natürliche Schubser wie ein starker El Niño. Wenn sich vieles davon überlagert, wird die Kurve vorübergehend steiler. Das ist nicht die angenommene Basislinie, aber es ist ein reales Risiko.

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  • Wir zerstören das Buch des Lebens, bevor wir es gelesen haben

    Leiser als das Tosen von Stürmen, kaum sichtbar im Alltag – und doch unaufhaltsam: Das große Sterben der Vielfalt ist längst im Gange. Gemeinsam mit der Klimakrise und den wachsenden Risiken neuartiger Pandemien bildet es eine gefährliche Dynamik, die unser gesamtes Zukunftsgefüge ins Wanken bringen kann. Prof. Josef Settele, einer der profiliertesten Biodiversitätsforscher Europas, erklärt in diesem Gespräch, warum Insekten dabei Schlüsselindikatoren sind – und warum wir die Triple-Krise endlich als das begreifen müssen, was sie ist: eine existenzielle Herausforderung für die Menschheit.

    Josef Settele ist ein deutscher Biologe, Lepidopterologe, Wissenschaftler am Helmholtz-Zentrum für Umweltforschung – UFZ und außerplanmäßiger Professor an der Martin-Luther-Universität Halle-Wittenberg. Seit 2020 ist er Mitglied im Sachverständigenrat für Umweltfragen. (Fotografie: © Michael Jungblut, fotoetage)

    Herr Prof. Settele, Sie haben vor sechs Jahren gemeinsam mit Sandra Dias aus Argentinien und Eduardo Bondizio aus den USA den Globalen Bericht des Weltbiodiversitätsrats (IPBES) vorgelegt. Welche Erkenntnisse waren für Sie neu oder besonders beeindruckend?

    Neu war für mich weniger der Inhalt des Berichts – den kannten wir im Kern. Beeindruckend war der Entstehungsprozess. Am Ende konnten wir gemeinsam mit den Vertreter:innen der Regierungen grundlegende Konzepte hinterfragen, etwa das Bruttoinlandsprodukt als Maß aller Dinge. Wir haben entschieden, diese Fragestellung im Bericht aufzugreifen. Es war erstaunlich, dass das trotz Widerständen am Ende gelungen ist.
    Bei den Verhandlungen saßen alle mit am Tisch: die USA, Argentinien, Brasilien, Indien und China. Diskutiert wurde nicht nur über Umweltdaten, sondern über Werte, Ethik und Konzepte jenseits einer rein ökonomischen Betrachtung.

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