Die Energiewende ist keine grüne Utopie

Energie ist Macht. Und fossile Energie ist das Machtinstrument des 20. und 21. Jahrhunderts. Die Journalistin und Autorin Susanne Götze hat gemeinsam mit Annika Joeres ein Buch geschrieben, das zeigt, wie eng Öl und Gas mit Politik, Medien und Wirtschaft verwoben sind – und wie gefährlich diese Abhängigkeit ist. Im Interview spricht Götze über ihre Recherchen im Irak, in Norwegen und in den USA, über milliardenschwere Lobbynetzwerke und darüber, wie eine demokratische, gerechte Energiewende gelingen kann.

Frau Götze, was ist das erste Bild, das Ihnen in den Kopf schießt, wenn Sie an die fossile Macht denken – etwas, das ihren Einfluss, aber auch ihre Verwundbarkeit zeigt?

Zwei Bilder schießen mir sofort durch den Kopf. Das erste stammt aus Basra im Irak. Ich flog frühmorgens um fünf zurück nach Deutschland. Beim Start des Flugzeugs sah ich aus der Luft eine gespenstische Szenerie: Überall unten am Boden flackerten kleine und große Feuer – es wirkte, als würde man über einen Teppich aus Lagerfeuern fliegen. Rund um die Stadt zog sich ein regelrechter Feuergürtel.

Susanne Götze (Fotografie: Michael Jungblut, fotoetage)


Es sah martialisch aus, fast mittelalterlich. Natürlich waren das keine Lagerfeuer, sondern Raffinerietürme – sogenannte Flaring-Türme –, an denen überschüssiges Gas aus der Ölproduktion abgefackelt wird. Und man weiß: Die Menschen dort leiden unter dieser Luftverschmutzung. Viele werden krank. Ich habe einige von ihnen getroffen.
In diesem Moment spürte ich eine große Ohnmacht. Dieses Bild steht für mich sinnbildlich für die zerstörerische Kraft fossiler Energien – und für all das, was wir in Deutschland nicht sehen. Wir sind Teil dieses Systems, aber wir erleben seine Folgen nicht direkt.
Mir fällt noch ein zweites Bild ein: Das sind große Yachten, riesige Villen – der konzentrierte Reichtum einer sehr kleinen Elite. Auch das sehe ich.

Aber Verwundbarkeit steckt in diesen Bildern noch nicht!?

Nicht im Reichtum. Aber im Bild aus dem Irak schon. Es zeigt die Verwundbarkeit der Menschen, die unmittelbar von der Ausbeutung betroffen sind – und die Verwundbarkeit der Erde selbst. Dieses „schwarze Gold“ verändert alles. Wenn wir es aus der Erde holen, greifen wir tief in die Natur ein. Wir machen damit unsere Welt verletzbar. Und das auf eine Weise, die wir hier in Deutschland kaum wahrnehmen.

Ihr neues Buch Die Milliarden-Lobby zeigt: Es geht nicht nur um Lobbyismus, sondern um eine regelrechte Strukturverschmelzung. Worin liegt die Ursache?

Wir leben seit über 150 Jahren mit fossilen Energien – und sind nach wie vor abhängig davon. Über ein Jahrhundert lang gab es faktisch keine Alternativen. Fossile Energieträger waren die Option.
Die fossilen Unternehmen nannten sich „Energieversorger“. Und ja – sie haben uns zuverlässig mit Energie versorgt. Aber sie haben auch unfassbar hohe Profite gemacht, von denen nur wenige etwas hatten. Das fossile System hat vor allem die Reichen noch reicher gemacht, Konflikte geschürt, durch Ölkriege sind Millionen gestorben, nicht nur im Irak. Dennoch haben fossile Brennstoffe unser System am Laufen gehalten – mit Strom, Wärme, Mobilität, Lebensmittelproduktion. Noch vor 20 Jahren wären wir ohne sie ziemlich aufgeschmissen gewesen.
Wo viel Geld im Spiel ist, entstehen Macht und Lobbyinteressen. Die Versorgungsrolle der Konzerne hat zu engen Verflechtungen mit der Politik geführt – viele Unternehmen waren staatlich oder kommunal organisiert, viele sind es bis heute. Es geht um historisch gewachsene Strukturen, die sich über Jahrzehnte etabliert haben – und die man jetzt bewusst aufbrechen muss.

Wer sind die strategisch wichtigsten Spieler in diesem System?

Es gibt nicht den einen Player, sondern viele – mit ganz unterschiedlichen Interessen, Geschäftsmodellen und Profiten. Deshalb darf man sie nicht über einen Kamm scheren.
Die mit dem größten Machtanspruch sind eindeutig die Öl- und Gaskonzerne, die die Rohstoffe direkt aus dem Boden holen. Wenn sie das nicht mehr dürften, verlören sie ihr gesamtes Geschäftsmodell. Für sie steht am meisten auf dem Spiel.
Andere Akteure in der Kette könnten theoretisch umsteuern: Trader zum Beispiel, die Öl und Gas an den Börsen handeln – sie könnten auch mit anderen Rohstoffen handeln. Oder Reedereien, die LNG-Tanker betreiben – auch sie könnten sich mittelfristig umstellen. Aber natürlich ist das nicht trivial. Wer in einen Flüssiggastanker investiert hat, will ihn nicht vorzeitig verschrotten. Da hängen Kapitalbindung, Renditen und Lebenszyklen dran.
Dann gibt es die Zwischenhändler in Deutschland, die Gas und Öl weiterverkaufen. Auch sie haben ein klares wirtschaftliches Interesse an der Fortführung des Status quo.
Und schließlich haben wir die Stadtwerke oder die Hersteller von Gasthermen und Heizsystemen.
Aber die mächtigsten Akteure sitzen ganz klar am Anfang der Kette. Die Öl- und Gaskonzerne. Sie haben das größte Interesse daran, dass sich nichts ändert – und sie machen das meiste Geld.

Und genau deshalb werden sie von Politik und Medien unterstützt?

Wer viel Geld hat, hat Macht – politisch wie medial. Das eine bedingt das andere. In kapitalistischen Gesellschaften ist das kein Geheimnis: Geld öffnet Türen – auch in Ministerien und Redaktionen.
Diese Konzerne arbeiten nicht nur mit klassischer Lobbyarbeit. Sie betreiben Thinktanks, finanzieren Stiftungen, gründen Verbände – ganze Netzwerke, die ihre Interessen vertreten. Und sie haben riesige PR-Abteilungen, deren einziger Job es ist, das eigene Geschäftsmodell am Laufen zu halten – koste es, was es wolle.

Wir kennen die Strukturen, wir kennen die Akteure. Warum passiert trotzdem nichts? Fehlt es an Mut? An Verantwortung? Oder woran genau?

Ich glaube, vieles hat mit Gewohnheit zu tun. Diese Strukturen sind über Jahrzehnte gewachsen. Sie sind so tief etabliert, dass es extrem schwerfällt, sie zu verändern. Und das nützt jenen, die damit ihr Geld verdienen und gute PR-Strategen haben. Mit dem Wissen von heute würde man diese Strukturen nie wieder so aufbauen. Aber sie sind eben da. Und das macht Veränderung so schwer.
Jede:r sieht es bei sich im Alltag: Wir sind es gewohnt, alle möglichen Dienstleistungen und Produkte ganz selbstverständlich zu nutzen – und sie alle basieren auf Öl und Gas. Viele haben zu Hause eine Gasheizung, fahren einen Diesel und kaufen Lebensmittel, deren Herstellung Energie verschlingt – selbst die Brötchen sind „mit Gas gebacken“.
Wenn man seinen eigenen Alltag einmal durchgeht, merkt man: Unser System basiert immer noch zu rund 80 Prozent auf fossilen Rohstoffen – gemessen am Primärenergieverbrauch.

Und der Großteil wird importiert.

Genau. Wir reden zwar gern über erneuerbare Energien – aber meist nur über den Stromsektor. Da sind wir immerhin bei über 50 Prozent. Aber Strom ist nur ein Teil der Gesamtenergie. Die anderen Sektoren – Wärme, Mobilität, Bauen – sind weiterhin stark fossil geprägt. Und das sind genau die Bereiche, die unseren Alltag dominieren.

Und was passiert, wenn diese Energien plötzlich nicht mehr verfügbar sind?

Das ist das eigentlich Riskante. Alles wird importiert. Und wir sitzen zu Hause vor unserer warmen Gasheizung – und wissen nicht einmal, woher genau das Gas stammt. Darüber denken wir viel zu wenig nach.

Aber wenn eine Krise wie der Ukrainekrieg kommt – dann wissen wir es plötzlich ganz genau.

Dann wissen wir es, ja. Plötzlich wird sichtbar, wie abhängig wir sind.
Und heute? Woher kommt heute unser Gas? Von welchem LNG-Tanker? Aus welchem Land? Aus einem Golfstaat? Aus Aserbaidschan? Fracking-Gas aus den USA? Keine Ahnung. Woher stammt die Kohle, um unsere Kraftwerke zu befeuern? Aus Südamerika oder Südafrika? Beim Öl ist es genauso. Ich tanke mein Auto – aber ich weiß nicht, woher der Sprit stammt.
Eine kleine Anekdote: Ich war einmal in einem Gasheizkraftwerk in Leipzig-Süd. Dort will man künftig auf Wasserstoff umstellen. Ich habe den Ingenieur gefragt: „Wo soll der Wasserstoff denn herkommen?“ Und er sagte: „Keine Ahnung – das wissen wir noch nicht.“ Und dann meinte er: „Ich weiß ja auch nicht, wo aktuell mein Gas herkommt.“ Wir haben verinnerlicht, dass es normal ist, fossile Rohstoffe zu nutzen. Es erscheint selbstverständlich.
Und weil sich Menschen in dieser Normalität sicher fühlen, stoßen Vorschläge für alternative Technologien oder neue Energiequellen auf Widerstand. Viele denken: Das ist bequem, das war doch schon immer so – warum soll man etwas ändern?

Heißt das, wir scheitern auch an unserer eigenen Denkfaulheit?

Ja – und an jahrzehntelanger Verdrängung. Unser Lebensstandard basiert auf fossilen Energien. Und wenn wir uns nur einen Tag lang vorstellen, auf Öl und Gas zu verzichten – stünde alles still. Kein Strom, keine Wärme, keine Versorgung. Unser Wohlstand wäre schlagartig nichts mehr wert.

In Ihrem Buch skizziert Sie Szenarien, wie uns diese Abhängigkeit zum Verhängnis werden kann.

Exakt. 95 Prozent unseres Erdgases müssen wir importieren, beim Erdöl sind es sogar 99 Prozent. Diese extreme Abhängigkeit macht uns politisch erpressbar.
Vor der Energiekrise kam etwa die Hälfte unseres Erdgases aus Russland – dann brach diese Quelle plötzlich weg. Also mussten wir diversifizieren: USA, Norwegen – zwei demokratische Partner. Die USA sind aber seit Trump kein verlässlicher Partner mehr. Bleibt im Grunde nur noch Norwegen. Von dort beziehen wir inzwischen knapp die Hälfte unseres Gases über eine direkte Pipeline. Die ist jedoch verwundbar: 9.000 Kilometer Leitung unter Wasser – die lässt sich nicht schützen.

Also ist Flüssiggas über Schiffe die bessere Lösung?

Nein, denn auch da gibt es Engstellen: Das Gas muss durch geopolitisch hochsensible Nadelöhre wie die Straße von Hormus oder das Rote Meer, wo etwa die Huthi-Milizen operieren.
Die Internationale Energieagentur warnt: Die Gaspreise sind extrem volatil. Es geht nicht nur darum, ob Gas ankommt – sondern zu welchem Preis. Wenn nur ein LNG-Tanker in einem dieser Nadelöhre beschädigt wird, explodieren die Preise binnen Stunden. So war es 2022: Innerhalb von sechs Monaten hat sich der Preis versechs- bis versiebenfacht. Der Staat musste eingreifen – mit der Energiepreisbremse.

30 Milliarden Euro – für anderthalb Jahre.

Genau. Dieses Geld ist weg. Geld, das man auch in die Bahn, in die Wärmewende, in erneuerbare Energien hätte stecken können.Zwar wurde gerade ein Sondervermögen von 100 Milliarden angekündigt. Klingt viel – aber aufs Jahr gerechnet sind das gerade mal acht Milliarden. Ein Witz, wenn man es mit den Kosten der Energiekrise vergleicht. Und kaum jemand fragt: Warum sind wir überhaupt in diese Lage geraten?

Gibt es Länder, die auf die Energiekrise anders reagiert haben?

Dänemark zum Beispiel. Ich war in Esbjerg. Dort haben die Bürger gesagt: „Nie wieder Gas.“ Der Bürgermeister hat mir erzählt, hätte er keine Großwärmepumpe gebaut, wäre er politisch erledigt gewesen. Die Leute dort waren schockiert – und haben gehandelt.
Und was passiert bei uns? Kaum ist etwas Ruhe eingekehrt, taucht wieder die Idee auf, russisches Gas zurückzuholen. Nicht überall, aber die Diskussion ist da.
Das liegt auch an der Medienlandschaft. Springer zum Beispiel macht keine journalistische Aufklärung, sondern vor allem PR für die fossile Industrie. Und dahinter steckte in den vergangenen Jahren viel Kapital – etwa von KKR, einem Finanzinvestor mit Beteiligungen im fossilen Sektor.

Also immer noch ein System, das sich selbst schützt?

In der gesamten Gaslieferkette werden unfassbare Gewinne erzielt. Deshalb sprechen wir von einer Milliarden-Lobby. Und das betrifft nicht nur die Konzerne – auch die Trader, Manager und Händler kassieren jedes Jahr Millionenboni.
Ein Beispiel: SEFE, ehemals Gazprom Germania, ein bundeseigener Gasversorger, hat nach der Krise Millionen-Boni an Händler ausgezahlt. Und das als Staatsunternehmen! Was da bei Shell oder BP passiert, mag man sich gar nicht vorstellen.

2022 war ein Rekordjahr – trotz Krise, oder?

Ja. Während wir hier Angst hatten, nicht mehr heizen zu können, haben Exxon, Chevron, Shell, Total und BP zusammen 200 Milliarden Dollar Gewinn gemacht. Gewinn, nicht Umsatz. Die Konzerne waren im Höhenflug – wir im Krisenmodus.
Und die Medienmacht? In Griechenland etwa kaufen reiche Reeder, die LNG-Schiffe betreiben, Zeitungen auf. Heute gehören rund 90 Prozent der griechischen Printmedien Reedern. Diese Leute transportieren Öl und Gas – und kontrollieren gleichzeitig die öffentliche Meinung.

Wie entmachtet man diese Milliarden-Lobby? Kapitalentzug, CO₂-Zölle, Konzernzerschlagungen, globale Allianzen?

Wenn wir über Regierungspolitik reden, ist die realistischere Antwort nicht: Konzerne zerschlagen. Das mag eine wichtige Debatte sein – aber aktuell haben wir ja selbst fossile Konzerne verstaatlicht. Ich glaube: Der entscheidende Hebel ist, die Energiewende konsequent durchzusetzen.Das heißt: Wir müssen unsere Energiequellen endlich umstellen – weg von fossilen Importen, hin zu heimischen, erneuerbaren Energien.
Es ist irrational, dass gerade Konservative und Rechtsaußen so gegen Windräder oder Solaranlagen sind. Das sind doch deutsche, dezentrale, sichere Energiequellen! Wenn man wollte, könnte man das sogar nationalistisch labeln: Heimische Energie statt Abhängigkeit von autoritären Regimen.Dezentralität heißt auch: weniger Abhängigkeit von großen Konzernen. Natürlich braucht auch die Industrie große Anlagen, Offshore-Windparks und Co. Aber im Grundsatz liegt in der Verlagerung auf viele kleine Akteure – Gemeinden, Bürger:innen, Energiegenossenschaften – eine echte Machtverschiebung.

Also ein Geschäftsmodell für viele – statt für ein paar Superreiche?

Genau. Diese Form der Energiewirtschaft verteilt nicht nur die Energieversorgung, sondern auch die ökonomischen Chancen. Die fossilen Konzerne investieren auch in Wind und Solar – aber nur einen Bruchteil ihrer Milliarden-Gewinne. Vier bis fünf Prozent. Das zeigt, dass es ihnen nicht ernst mit der Energiewende ist und sie an Klimaneutralität im Grunde nicht glauben. Sie halten so lange an ihrem alten Geschäftsmodell fest, wie es irgendwie geht.Viele Bürger:innen erzeugen längst ihre eigene Energie – mit Solaranlagen, in Energiegenossenschaften, mit Bürgerwindparks. Es gibt Kommunen, Bürgermeister, Ingenieure, die an energieautarken Gemeinden arbeiten – oder sie schon verwirklicht haben. Mit niedrigen Strompreisen. Mit Beteiligung der Menschen vor Ort. Mit echtem wirtschaftlichem Nutzen für alle.
Diese Revolution von unten – das ist die eigentliche Gegenmacht zur fossilen Lobby.

Also klappt die Energiewende am Ende doch?

Was mir wirklich Hoffnung macht, sind die Preise. Die Erneuerbaren sind inzwischen so günstig – das ist ihr stärkstes Argument. Wenn man sich die Preisentwicklung der letzten 20 Jahre anschaut – das ist schlicht beeindruckend.
Und ich glaube: Am Ende zählt genau das. Menschen können ideologisch sein – „Ich will meine Kohle, mein Öl, meinen Diesel“ – aber wenn es teurer wird, steigen sie um.
Regenerative Energien sind greifbar, regional, sicher. Sie schaffen Unabhängigkeit. Das ist nicht nur eine ökologische oder klimapolitische Frage – das ist eine soziale Frage. Es geht um Gerechtigkeit. Um Sicherheit. Und um eine gerechtere Verteilung von Reichtum und Verantwortung.Und: Die Energiewende ist kein grünes Projekt. Sie ist eine Frage von Vernunft, Verantwortung – und Freiheit. Und sie beginnt längst – vor unserer Haustür. Und in dem Moment, in dem wir uns entscheiden, es anders zu machen.

Susanne Götzes neues Buch: Die Milliarden-Lobby – Wer uns von Öl und Gas abhängig macht (PIPER Verlag, Mai 2025)Der Ausstieg aus dem fossilen Zeitalter ist keine Frage der Technik – sondern eine Frage des klugen Handelns.

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