Sven Plöger über die Erwärmung der Ozeane, Wasserknappheit und wirtschaftlichen Auswirkungen
Nie zuvor haben sich die Weltmeere so schnell erwärmt wie seit 2023. Der Meteorologe und ARD-Moderator Sven Plöger war auf Forschungsreisen in Panama, im ewigen Eis Grönlands und ist gerade im Mittelmeerraum unterwegs. Seine Beobachtungen zeigen, wie eng das Klima und die Stabilität der Weltwirtschaft miteinander verflochten sind.
von Eckard Christiani
Als Meteorologe kennt Sven Plöger die Daten. Doch manchmal sind es nicht die Zahlen, die ihn am meisten bewegen, sondern das, was er mit eigenen Augen sieht und mit eigenen Ohren hört. Etwa wenn in Grönland ein Gletscher kalbt – und das Geräusch so gewaltig ist, dass man es in keiner Fernsehsendung angemessen wiedergeben kann. „Ich stand auf dem Eis, umgeben von Hunderten Kilometern gefrorenem Wasser – und wusste: 29 Millionen Tonnen Eis verlieren wir – pro Stunde. Das sind Dimensionen, die kaum zu begreifen sind.“

Oder wenn er über dem Urwald von Panama schwebt und inmitten tropischer Pflanzen plötzlich versteht, was „Stress“ für ein Ökosystem wirklich bedeutet. „Es ist ein Unterschied, ob man etwas liest – oder mitten in der Landschaft steht“, sagt Plöger. In Panama beeindruckte ihn besonders das direkte Nebeneinander von Urwald, Millionenstadt und Weltwirtschaft. Der Panama-Kanal, zentrales Nadelöhr des globalen Handels, war wiederholt eingeschränkt – nicht wegen Technik, sondern wegen Wassermangel. „Vor dem Kanal stauten sich Frachtschiffe, weil sie nicht einfahren konnten“, erzählt er. „Der Gatúnsee, der den Kanal mit Süßwasser speist, konnte nicht mehr ausreichend Süßwasser zur Verfügung stellen.“ Verstärkt wurde das Problem durch den menschengemachten Klimawandel und den aktuellen El-Niño-Zyklus. Da der Kanal kein Salzwasser aufnehmen kann – es würde das Ökosystem und die Schleusenmechanik beschädigen –, ist er vollständig auf Süßwasser angewiesen.
„Panama ist ein Ort, der zeigt, wie fragil unsere globalen Systeme sind. Wir glauben, alles unter Kontrolle zu haben – und dann fehlt Wasser, und plötzlich stockt der Welthandel.“
Der Schreckmoment: Wenn die Ozeane immer schneller wärmer werden
„Ich habe mich wirklich erschrocken“, sagt Sven Plöger. Und wenn ein erfahrener Meteorologe, der seit Jahrzehnten Klimaprozesse analysiert, von einem Schreckmoment spricht, dann sollte man hellhörig werden. Gemeint ist der abrupte, globale Temperatursprung der Weltmeere im Jahr 2023. Nicht ein regionales Phänomen, nicht ein einzelnes Hitzeereignis – sondern ein systemischer Sprung im gesamten Ozeansystem.
„Die Meere sind unsere größten Wärmespeicher. Über 90 Prozent der zusätzlichen Energie, die wir durch unsere Emissionen ins Klimasystem bringen, landet dort“, erklärt Plöger. Der sprunghafte Anstieg sei ein Signal, dass dieser für uns so wichtige Puffer an seine Grenzen kommt. Vieles deute darauf hin, dass sich vor allem die oberen Schichten der Ozeane immer schneller erwärmen. „Diese sogenannte Deckschicht – also die obersten paar Hundert Meter – ist entscheidend für Wetter, Energieaufnahme und CO₂-Bindung. Wird sie zu warm, kann sie weniger CO₂ aufnehmen, was wiederum die Treibhauswirkung verstärkt.“

Auch die Dynamik der Meeresströmungen gerät aus dem Takt. Ein Beispiel: der sogenannte Cold Blob südlich von Grönland – eine auffällige Kaltwasseranomalie, die inmitten einer sich aufheizenden Welt paradox wirkt. „Südlich von Grönland wird es kälter – nicht, weil die Erde sich abkühlt, sondern weil der Golfstrom an Kraft verliert“, so Plöger. „Dort fließt Süßwasser vom abschmelzenden grönländischen Eisschild in den Nordatlantik, was die Dichteverhältnisse ändert und die Zirkulation ausbremst.“
Plöger warnt vor Panikmache, erkennt aber klare Risiken: „Ein völliger Stillstand des Golfstroms ist derzeit unwahrscheinlich, aber die Abschwächung hat längst begonnen – mit enormen Folgen.“ Schon jetzt verändert sich das Klima in Europa: „Auch wenn Europa derzeit der sich am schnellsten erwärmende Kontinent ist, könnte das regional- und jahreszeitenabhängig kühlere und feuchtere Phasen nach sich ziehen. Aber auch – das Gegenteil – gerade im Sommer im Süden Europas häufiger Hitzewellen anfachen, Schuld wären Tiefs, die sich im Umfeld des „Cold Blob“ leichter bilden können und die auf ihrer Vorderseite Heißluft nach Europa führen“, erklärt Plöger. Zahlreiche Veränderungen lasse die Instabilität wachsen, Extremwetter werde häufiger – und schwerer vorhersagbar.

Hinzu kommt, dass warme Meere nicht nur mehr Wetter machen – sondern anderes Wetter. „Je wärmer das Wasser ist, desto mehr Wasserdampf gelangt in die Atmosphäre – und der ist das Hauptnahrungsmittel für Unwetter“, so Plöger. Ein Grad mehr bedeute rund sieben Prozent mehr Wasserdampf – ein nichtlinearer Effekt, der sich rasend schnell verstärken kann. „Das erklärt, warum Starkregen, Hagel, Stürme und sogar Winterhochwasser massiv zunehmen. Das System ist aufgeladen.“
Besonders kritisch sei das im Mittelmeer, das Plöger zurzeit für seine nächste Doku bereist. „Wir hatten dort im Sommer 2024 über 30 Grad Wassertemperatur – auf riesiger Fläche. Und 2025 schon Ende Juni und damit so früh im Jahr wie noch nie, Werte, die an die 30 Grad heranreichten.“ Die Verdunstung über solchen Gewässern sei so hoch, dass schon geringfügige atmosphärische Störungen zu extremen Regenereignissen führen können.
Wenn Wasser fehlt, leidet die Wirtschaft
Die zunehmende Wasserknappheit wird zu einem zentralen Geschäftsrisiko. Laut einer Analyse von CDP (Carbon Disclosure Project) könnten Unternehmen weltweit jährlich bis zu 301 Milliarden US-Dollar verlieren – allein durch wasserbedingte Störungen in der Lieferkette, höhere Betriebskosten oder Produktionsausfälle. Zugleich investieren Unternehmen nur einen Bruchteil dieser Summe in präventive Maßnahmen.
Besonders betroffen sind Branchen wie Landwirtschaft, Chemie, Energie und Textilindustrie – überall dort, wo Wasser nicht nur Ressource, sondern systemrelevant ist. Auch Investoren beginnen umzudenken: BlackRock, der weltgrößte Vermögensverwalter, zählt Wasser inzwischen zu den wichtigsten non-financial risks. Klar ist: In einer Welt mit instabilen Ozeanen, sinkenden Grundwasserspiegeln und zunehmenden Extremwettern werden auch Gewinne fragiler.
Nicht absehbare soziale Folgen
Die Folgen der Ozeanerwärmung sind vielfältig – und existenziell. Küsten geraten unter Druck, Extremwetter bedroht die Landwirtschaft. Besonders besorgniserregend sei die Wasserversorgung, sagt Plöger: „Gletscher verschwinden, Grundwasser sinkt, Starkregen fließt oberflächlich ab und dringt nicht in den Boden ein. Sauberes Trinkwasser wird vielerorts knapp.“
Dazu kommen klimabedingte Migration, Gesundheitsrisiken und soziale Ungleichheit. „Wenn 180 Millionen Menschen unter einem Meter über dem Meeresspiegel leben, wird der Meeresspiegelanstieg zur politischen Herausforderung.“
Kipppunkte, Modelle, und was sie (nicht) wissen
Ein weiteres Thema, das Plöger beschäftigt: die Zuverlässigkeit der Klimamodelle. Viele der gängigen CMIP6-Modelle, die Grundlage für den IPCC-Bericht sind, unterschätzen womöglich die reale Klimasensitivität.
„Wir haben uns verschätzt – ja, denn vieles verändert sich leider noch schneller als wir dachten“, sagt Plöger offen. „Aber das liegt auch daran, dass wir ein extrem komplexes System zu verstehen versuchen. Atmosphäre, Ozeane, Eismassen, Biosphäre – alles ist miteinander vernetzt. Die Wissenschaft entwickelt sich ständig weiter, und es ist normal, dass man immer weiter dazulernt“. Für Plöger ist entscheidend: „Wir brauchen aber trotzdem keine Pessimismusprophezeiungen, denn sie könnten allein durch ihre Existenz möglicherweise zu sich selbsterfüllenden Prognosen werden. Das, was gerade passiert, ist kein unausweichliches Schicksal. Es ist menschengemacht – und damit auch veränderbar.“
Plöger plädiert für Zuversicht
Bei all der wissenschaftlichen Klarheit überrascht, mit welcher Leidenschaft Plöger für Hoffnung plädiert. „Manche sagen, das sei naiv“, sagt er. „Aber ich frage zurück: Was bringt mir ein apokalyptischer Blick? Was wird besser, wenn ich mich in Hoffnungslosigkeit verliere? Nichts.“ Und dann sagt Plöger einen Satz, der hängen bleibt: „Das, was wir erleben, ist ein Asteroideneinschlag in Zeitlupe – selbst erzeugt. Aber wir sehen ihn kommen. Und wir wissen, was zu tun ist.“

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