Wie wir lernen, unsere Vorstellungskraft radikal zu nutzen

Peter Spiegel ist Zukunftsforscher und einer der profiliertesten Vordenker für Future Skills in Deutschland. Vom Aufbau des WeQ-Instituts bis zur School of Future Skills treibt ihn eine Frage an: Wie können Menschen lernen, ihre zutiefst menschlichen Fähigkeiten – Vorstellungskraft, Empathie, Teamgeist – systematisch zu trainieren? Im Gespräch erzählt er, warum Wissen längst nicht mehr der Engpass ist, was Kinder uns über Zukunftskompetenzen vormachen – und wieso die Idee, den Friedensnobelpreis an die Kinder der Welt zu vergeben, mehr ist als ein schönes Symbol.

Ein Gespräch zwischen Eckard Christiani und Peter Spiegel

Herr Spiegel, was genau verstehen Sie unter Future Skills?

Future Skills sind – wörtlich übersetzt – schlicht Zukunftskompetenzen. Aber mit dem Begriff allein ist ja noch nichts gewonnen. Entscheidend ist: Was sind das für Fähigkeiten, die wir in Zukunft dringender brauchen als alles andere?

Peter Spiegel

Lange Zeit ging es in Bildung und Ausbildung vor allem um Wissen. In der Industrialisierung, als die Dampfmaschine und später die großen technischen Innovationen in die Welt kamen, war Wissensaneignung tatsächlich der Engpass. Deswegen haben wir Schulen und Universitäten so gebaut, wie wir sie kennen: Wissen pauken, abprüfen, wiederholen.

Heute hat sich der Engpass radikal verschoben. Der Bildungsdirektor der OECD sagt es sehr klar: Der Zugang zu Wissen ist kein Problem mehr. Mit einem Klick habe ich jede Information, mit KI sogar noch schneller und komfortabler.
Der neue Engpass sind die zutiefst menschlichen Kompetenzen. Also genau jene Fähigkeiten, die uns von Maschinen unterscheiden – und die darüber entscheiden, wie wir mit diesen Maschinen umgehen.

Dazu gehören Dinge wie kritisches Denken, die Fähigkeit, Informationen zu prüfen, zu unterscheiden oder schnell Entscheidungen zu treffen. Aber eben auch Teamkompetenz, Zuhören, Kommunikation auf Distanz, etwa in einem Zoom-Meeting. All das ist durch die digitale Welt wichtiger geworden. Die meisten verengen Future Skills aber immer noch auf das: auf Tool-Kompetenz, auf das Bedienen neuer Programme. Das ist viel zu kurz gedacht.
Mich interessiert etwas anderes: die genuin menschlichste aller menschlichen Kompetenzen – unsere Vorstellungskraft.

Was meinen Sie mit Vorstellungskraft – und warum ist sie für Future Skills so zentral?

Wir Menschen sind die einzigen Wesen auf diesem Planeten, die sagen können: „Ich wünsche mir, dass etwas anders, besser wird – und ich mache mich auf die Suche nach einer Lösung.“ Jede Erfindung beginnt mit einem Wunsch und einer Entscheidung: Da will ich etwas verbessern – und ich höre nicht auf, bevor ich eine Lösung gefunden habe. Dafür brauchen wir Vorstellungskraft. Die Fähigkeit, frei zu assoziieren, Neues zu denken, uns selbst bewusst in die Rolle zu bringen: „Ich denke jetzt kreativ nach, bis mir etwas einfällt.“

Wenn ich meine Ohren und Augen öffne für Menschen, mit denen ich sonst nichts zu tun hätte, wenn ich mir andere Perspektiven zumute, wenn ich mir erlaube, verrückte Ideen zu kombinieren – dann passiert Innovation. Viele große Denkerinnen und Denker sagen: Die menschliche Vorstellungskraft ist die Quelle aller Erfindungen.

Und genau hier liegt der Unterschied zur KI: Eine KI kann Muster erkennen, Daten auswerten, Texte erzeugen. Aber den ursprünglichen Wunsch nach einer besseren Welt, die Entscheidung „Ich will das anders haben“ – den trifft immer noch der Mensch.

Wenn wir als Menschheit – theoretisch – acht Milliarden Menschen hätten, die diese Schlüsselkraft bewusst nutzen und weiterentwickeln, dann würden wir zu völlig anderen, wesentlich wirkungsvolleren Menschen.
Ich bin überzeugt: Die Lernbarmachung dieser Imaginationsfähigkeit – und der anderen zutiefst menschlichen Kompetenzen – ist in dieser Zeit die wichtigste Bildungsaufgabe auf diesem Planeten.

Sie zitieren oft Unternehmen wie Google. Welche Rolle spielen Future Skills dort?

Frederik Pferdt, lange Zeit Chief Innovation Evangelist bei Google, hat es mir einmal sehr eindrücklich beschrieben. Er sagte sinngemäß: „Ich begleite alle Menschen, die bei Google anfangen – und zwar nicht nur mit beruflichen Themen. Wenn jemand seine Gesundheitsprobleme, Beziehungsfragen oder persönliche Krisen mit der eigenen Vorstellungskraft, mit Wünschen und bewusst getroffenen Entscheidungen anpackt, dann nützt das nicht nur ihm oder ihr, sondern auch dem Unternehmen.“

Was steckt dahinter? Wenn Menschen erleben, dass sie ihre eigenen Themen kreativer, sicherer, souveräner lösen können, dann erweitern sie ihre Future Skills in allen Lebensbereichen. Sie werden mutiger, Ideen zu äußern, sie lernen, ihre Gedanken zu strukturieren, Entscheidungen zu treffen, dran zu bleiben. Das überträgt sich automatisch auf die Arbeit.
Google hat verstanden: Es reicht nicht, ein paar Kreative in der Forschungsabteilung zu haben. Die ganze Organisation braucht diese menschlichen Kompetenzen.

Für mich war das eine Schlüsselerkenntnis. Seitdem konzentriere ich mich mit unserem Institut konsequent auf genau diese zutiefst menschlichen Fähigkeiten. Für digitale Tool-Kompetenz gibt es genügend Angebote. Für die wirklich menschlichen Kompetenzen klafft noch eine riesige Lücke.

Sie haben deshalb das WeQ-Institut und die School of Future Skills aufgebaut. Wie kam es dazu?

Wir haben vor rund 17 Jahren mit acht Mitstreiterinnen und Mitstreitern das WeQ-Institut gegründet – WeQ steht für Wirkungsquotient. Uns ging es von Anfang an um soziale Innovationen: also um Lösungen, die nicht nur technisch brillant, sondern gesellschaftlich sinnvoll sind.
Die These war: Technische Innovationen gibt es genug, aber sie kommen ohne die passenden Future Skills der Menschen nicht wirklich zur Wirkung – oder sie richten sogar Schaden an.

Als ersten Schritt haben wir ein Buch – Future Skills – gemacht, für das wir 69 Co-Autor:innen gewonnen haben. Menschen, von denen wir überzeugt sind, dass sie zu zentralen Future Skills wirklich etwas zu sagen haben:

  • Gerald Hüther zur Gehirn- und Beziehungsforschung
  • Maja Göpel zur Transformationskompetenz
  • Uli Weinberg, lange Leiter der School of Design Thinking in Potsdam
  • und viele weitere und auch weniger bekannte, aber großartige Praktiker:innen, die komplexe Dinge in einfache Sprache übersetzen können.

Das Buch bündelt Kompetenzen wie Kommunikationsfähigkeit, Storytelling, digitale Souveränität, Imagination, Innovationskraft, Teamkompetenz und vieles mehr.
Der Bildungsdirektor der OECD, Andreas Schleicher, hat dieses Buch als „einzigartig“ bezeichnet. Thomas Sattelberger, der in mehreren DAX-Konzernen Personalvorstand war, schrieb, alle Beteiligten gehörten zu den „absoluten Pionieren“ in diesem Feld. Das hat uns natürlich Rückenwind gegeben.

Parallel dazu haben wir immer wieder erlebt, wie veraltet unser Bildungssystem noch tickt: Es tut so, als sei Wissensvermittlung weiter der große Engpass – und stopft die Lehrpläne immer voller. Wissen, Wissen, Wissen – pauken, pauken, pauken. Das ist eine Sackgasse. Die wenigen Schulen und Regionen, die bereits umgelernt haben, zeigen: Wenn man zuerst die Future Skills stärkt, wird auch das Wissenlernen leichter, tiefer, nachhaltiger.

Können Sie ein Beispiel nennen, wo Future-Skills-Bildung schon heute funktioniert?

Ja, und zwar auch in Deutschland. Eine der Pionierinnen ist Margret Rasfeld, die auch in Ihrem Buch vorkommt. Sie hat mit „Schule im Aufbruch“ eine Schule aufgebaut, in der Kompetenz und Potentialentfaltung im Zentrum stehen – nicht das Auswendiglernen.
Ein schönes Beispiel: Ihre Schule hat mit einer Unternehmensberatung kooperiert. Die Idee war: Schüler:innen können extrem gute Fragen stellen – vielleicht hilft das den Profis im Unternehmen. Das Ergebnis: Die Berater:innen stellten fest, dass die Jugendlichen tatsächlich die besseren Fragen stellen. Warum? Weil sie keine innere Selbstzensur hatten. Sie haben einfach drauflos gefragt, auch ganz grundlegende Dinge. Und genau diese Grundfragen waren oft hilfreicher als die fein ziselierten, „professionellen“ Fragen.

Solche Beispiele zeigen: Wenn junge Menschen Future Skills wie Achtsamkeit, Mut, Neugier und Multiperspektivität leben dürfen, entstehen andere Formen von Lernen und Zusammenarbeit.

Kommen wir zur School of Future Skills. Wie muss man sich diese Schule praktisch vorstellen? Sitzen da Kinder und Erwachsene in Fächern wie Empathie oder Glück statt Mathe und Informatik?

(lacht) Das Bild ist schön, aber so funktioniert es nicht. Die School of Future Skills ist zunächst eine hybride Lernplattform, die in der Startphase vor allem digital arbeitet. Wir nutzen die Möglichkeiten der KI sehr bewusst.
Wir haben zum Beispiel Avatare entwickelt – von mir, von Dr. Rüdiger Fox und zwei weiteren Personen aus unserem Kernteam. Diese Avatare können in verschiedensten Sprachen sprechen, sogar in unterschiedlichen englischen Dialekten. Damit können wir Inhalte weltweit zugänglich machen.

Aber viel wichtiger ist: Wir wollen ein systematisches Lernprogramm aufbauen, das Menschen Schritt für Schritt erleben lässt: „Wow – das geht ja viel leichter, als ich dachte. Noch ein Schritt – es geht ja NOCH leichter.“ Diese Erfahrung der erleichterten Veränderung ist der eigentliche Zauber. Sie motiviert, dranzubleiben. Die Frage Ihrer Leserinnen und Leser – „Ja, schön, aber was lernt man konkret?“ – ist natürlich zentral. Deshalb sprechen wir weniger von „Fächern“ und mehr von Lernformen und Lernfeldern.

Bleiben wir trotzdem kurz bei einem „Fach“: Sie sagen, Glück sei eine Future Skill. Kann man Glück wirklich lernen?

Ja, natürlich. Und zwar nicht als esoterisches Wohlfühlprogramm, sondern sehr konkret. Der Einstieg ist – wie bei allen Future Skills – die Vorstellungskraft. Ich muss mir überhaupt erst einmal vorstellen können, dass mein Leben glücklicher, stimmiger, sinnvoller sein kann.

Ein schönes Bild ist die Geschichte von Apple unter Steve Jobs. Jobs hat zwei Dinge kombiniert, die vorher niemand zusammen gedacht hatte: Hochkomplexe IT – und radikale Benutzerfreundlichkeit plus Ästhetik. Computer mussten plötzlich nicht mehr hässlich sein, und die Bedienung durfte intuitiv werden. Am Anfang haben ihn viele für verrückt erklärt – heute ist diese Kombination Standard.

Übertragen aufs Glück heißt das: Ich verlasse meine Komfortzone. Unsere Komfortzone ist ja nichts anderes als ein Bündel von Gewohnheiten, Routinen und Denk- und Wahrnehmungsmustern. Viele davon sind hilfreich, weil sie den Alltag vereinfachen. Aber sie können uns auch daran hindern, Neues zu sehen.

Wenn ich glücklicher leben möchte, muss ich meine Augen und Ohren weit öffnen:

  • für Menschen, die ganz anders ticken,
  • für andere Kulturen – etwa die sprichwörtliche Gastfreundschaft in vielen orientalischen Ländern,
  • für andere religiöse Traditionen, ohne die „eine“ Wahrheit finden zu wollen.

Glück braucht diese Offenheit. Und es braucht die Bereitschaft, eigene Automatismen zu hinterfragen – ohne sie zu verteufeln.

Gab es in Ihrem eigenen Leben Momente, in denen Sie die Macht solcher Kompetenzen persönlich erfahren haben?

Ja, gleich mehrere – und sie haben viel mit Schwächen zu tun. In Mathematik zum Beispiel hatte ich großes Glück. Mein Vater war Bäckermeister, kein Akademiker. Aber als ich als Jugendlicher hörte, dass viele Menschen Probleme mit Mathe haben, habe ich ihn gefragt, ob er mir einen Rat geben kann. Er sagte: „Beschäftige dich mit jedem neuen Mathe-Schritt so lange, bis du das Gefühl hast: Ab jetzt ist es nur noch Spielen mit Zahlen.“

Das war für mich eine magische Formulierung. Plötzlich war Mathe kein bedrohliches Fach mehr, sondern ein Spielplatz. Ich habe mich daran gehalten, und tatsächlich war ich sechs Jahre lang Klassenbester und hatte mein Mathe-Abitur später in Bayern mit der besten Note. Und wissen Sie, was ich danach gemacht habe? Ich habe Mathe einfach abgelegt. „Tschüss Mathe, das war’s.“ (lacht)

Stattdessen hat mich ein Klassiker der Psychologie gepackt: Alfred Adler. Adler war stark beeinflusst von Hans Vaihinger, einem Kant-Forscher, der sagte: Der Mensch kann grundsätzlich nur in Bildern und Vorstellungen denken und sprechen.

Adler hat bei seinen Patient:innen beobachtet, dass eine kleine Minderheit anders mit Schwächen umging. Sie entwickelten einen „Jetzt-erst-recht“-Impuls. Aus einer Schwäche wurde ein Antrieb. Adler nannte das Überkompensation.
Das hat mich als 17-Jährigen so fasziniert, dass ich mir meine größte schulische Schwäche vorgenommen habe: Deutsch. Ich hatte bis zur 11. Klasse nie besser als eine Vier, oft schlechter.

Ich bin zu meinem Deutschlehrer gegangen und habe ihm von Adler erzählt. Er sagte: „Ich gebe Ihnen eine Mathematikformel: gleiche Textlänge = doppelte Anzahl Sätze = halbe Note.“ Damit meinte er: Schreib kürzer, klarer, weniger Schachtelsätze. Und er hatte recht. Schritt für Schritt wurde ich besser, am Ende stand eine Zwei in Deutsch.

Warum erzähle ich das? Weil es zeigt, dass jeder Mensch Future Skills lernen kann – auch aus seinen größten Schwächen. Und weil es zeigt, wie wichtig Vorstellungskraft ist: Ich musste mir erst vorstellen, dass es anders gehen könnte, um ins Handeln zu kommen.

Später habe ich eine Studie gelesen, die zeigte: Unter Spitzenführungskräften gibt es überdurchschnittlich viele Menschen mit Legasthenie. Statt sich nur für ihre Rechtschreibschwäche zu schämen, haben sie andere Kompetenzen entwickelt: etwa strategisches Denken, Empathie oder Teamführung. Das ist Kompensationskompetenz im besten Sinne.

Heißt das, Future Skills sollte man nicht von oben „verordnen“ – nach dem Motto: „Du lernst jetzt Kreativität, weil ich das im Unternehmen brauche“?

Ganz genau. Ich halte das für einen der größten Fehler, den Unternehmen machen können. Wenn ich Mitarbeitenden sage: „Du musst jetzt diese Zukunftskompetenz lernen, sonst war’s das mit deinem Job“, dann werden viele aus Angst mitmachen. Und ja, sie werden vielleicht sogar positive Effekte spüren. Aber die Tiefe, die echte innere Freiheit, die große Befreiung – die entsteht so nicht.

Future Skills lernt man, indem man ihren praktischen Nutzen möglichst früh und intensiv erlebt. Nehmen Sie Achtsamkeit. Viele reduzieren das heute auf die Wahrnehmung des eigenen Körpers – was ein guter Einstieg ist. Aber warum dort stehen bleiben?

  • Achtsamkeit im Zwischenmenschlichen
  • Achtsamkeit für die Natur
  • Achtsamkeit für globale Ökosysteme

All das sind Vertiefungsstufen derselben Kompetenz. Egal, wo ich anfange: Wenn ich einmal diese Qualität des bewussten Wahrnehmens erlebt habe, werde ich weitere Dimensionen dazunehmen. Deshalb bin ich ein großer Freund davon, Menschen über Erfahrungen zu gewinnen – nicht über Anweisungen.

Wer soll von der School of Future Skills profitieren? Und welche Lernformen bieten Sie konkret an?

Unsere ehrliche Antwort auf die Zielgruppenfrage lautet: alle. Wir machen bewusst keine Einschränkungen, weil Menschen am meisten voneinander lernen, wenn sie nicht alle aus derselben Blase kommen.

Natürlich entwickeln wir spezielle Angebote für bestimmte Gruppen – etwa Studierende oder Führungskräfte. Aber unser Grundkonzept basiert auf vier Lernarten, die sich gegenseitig verstärken:

  1. Selbstlernen
    Lernen, wie ich alleine – zu jeder Tages- und Nachtzeit, an jedem Ort – mit digitalen Werkzeugen meine Future Skills trainieren kann. Das ist der Kern der Plattform: Ich bin nicht von festen Kurszeiten oder Orten abhängig.
  2. Impulslernen
    Wir brauchen Impulse aus unterschiedlichsten Richtungen, nicht nur aus unserer Peergroup. Viele Führungskräfte holen sich immer neue Vorträge von anderen Führungskräften. Das ist nett, aber nicht sehr transformativ.
    Wir bieten sehr unterschiedliche Persönlichkeiten und Perspektiven an – auf unserer Plattform starten wir mit sechs Impulsgeber:innen. So lernen Menschen, ihre Komfortzone zu verlassen.
  3. Teamlernen
    Wenn ich nicht im Team lerne, lerne ich im 21. Jahrhundert eigentlich immer noch wie im 20. Jahrhundert – im Konkurrenzmodus.
    Echtes Teamlernen funktioniert nur, wenn die alten Konkurrenzspiele aufhören. Sonst tun wir so, „als wären wir ein Team“, bleiben aber im alten Muster. Studien und Praxis – etwa aus der School of Design Thinking oder aus Hackathons – zeigen: Teams mit etwa fünf Personen sind ideal, um gemeinsames Lernen zu trainieren.
  4. Praxislernen
    Das ist der „Uhu“ im Gehirn: Was ich in die Praxis umsetze, verankert sich tief. Eigentlich weiß das jede und jeder – aber unser Bildungssystem handelt noch kaum danach. Da gibt es mal „Projektwochen“ am Ende des Jahres – das ist vorgestern.

Sie arbeiten beim Praxislernen eng mit Muhammad Yunus zusammen, dem Friedensnobelpreisträger. Wie sieht das aus?

Muhammad Yunus ist berühmt für die Grameen Bank und das Konzept der Mikrokredite. Weniger bekannt ist, dass er auch im Bildungsbereich radikale Innovationen entwickelt hat. Er hat ein Netzwerk von sogenannten 3-0-Clubs aufgebaut. In inzwischen rund 60 Ländern bilden Menschen Fünferteams, die sich verpflichten, an einem konkreten Praxisprojekt zu arbeiten – meist mit sozialem oder ökologischem Fokus.

Damit stellt Yunus die klassische Reihenfolge der Bildung auf den Kopf: Nicht erst jahrelang Theorie, dann endlich Praxis – sondern umgekehrt. Praxis am Anfang, begleitet von dem Wissen, das man dafür braucht.

Wir arbeiten mit einer von ihm initiierten Organisation zusammen, die dieses Prinzip weltweit verbreitet. Unser Ziel ist, diese Art von Praxislernen mit Selbst-, Impuls- und Teamlernen intelligent zu kombinieren – und so das Fundament der School of Future Skills zu bilden.

Sie starten auch ein Mentoringprogramm für junge Menschen. Was steckt dahinter?

Ab April bis Juli 2026 bieten wir ein Young Future Skills Mentoring Programm an. Die Idee: Rund tausend junge Menschen – vor allem Studierende – durchlaufen ein intensives Lernprogramm zu Future Skills. Jede und jeder von ihnen begleitet wiederum vier Mentees. So entsteht eine Art Lern-Multiplikator: Wer lernt, lehrt gleichzeitig – und vertieft dadurch das Gelernte.

Finanziert wird das von der Yunus & You – The Yunus Foundation und der Deutschen Postcode Lotterie. Die Postcode Lotterie ist – was viele nicht wissen – die zweitgrößte Geldgeberin für gemeinnützige Projekte weltweit. Ihr Zweck ist ausdrücklich, wichtige gesellschaftliche Projekte zu finanzieren, nicht Gewinne zu maximieren. Ohne solche Partner wäre ein Programm in dieser Größenordnung nicht möglich.

Sie haben vorhin angedeutet, dass all das noch einen Turbo bekommen soll – durch eine ziemlich kühne Idee: den Friedensnobelpreis für Kinder. Wie kam es dazu?

Das ist eine Geschichte, die mich selbst überrascht hat. Weil ich beruflich dazu verurteilt bin, neugierig zu sein (lacht), hat mir jemand von einem Mann erzählt, der World Child Forum-Konferenzen organisiert und weltweit hochkreative Spielplätze und Schulräume entwirft: Bernhard Hanel. In Davos hat er – parallel zum World Economic Forum – ein World Child Forum aufgebaut, unterstützt vom Bürgermeister vor Ort. Dort hat er Kinder aus vielen Kulturen zusammengebracht.
Was ihn zunehmend fasziniert hat, war nicht nur die Begeisterung für seine Spielplätze, sondern die Kompetenzen der Kinder selbst:

  • Sie probieren endlos aus.
  • Sie hören nicht auf, wenn etwas nicht sofort klappt.
  • Sie vergessen Zeit und Umstände, wenn sie sich in etwas vertiefen.
  • Sie begreifen die Welt im wörtlichen Sinne – durch Anfassen, Ausprobieren, Scheitern und Neuanfang.

Das alles sind Future Skills in Reinkultur – nur nennen wir sie bei Kindern oft „kindisch“. Am 11. September 2025 hat Bernhard Hanel dann eine erstaunliche Initiative öffentlich gemacht: die Idee, den Friedensnobelpreis 2026 an alle jungen Menschen bis 18 Jahre zu vergeben – an die Kinder und Jugendlichen dieser Welt. Die Begründung: Diese Generation ist die eigentliche Generation Zukunft. Was sie entscheidet, wird auch für uns Ältere enorme Folgen haben.
Ich war sofort elektrisiert. Durch einen Kontakt habe ich Bernhard noch vor dieser öffentlichen Ansage kennengelernt, und wir haben uns auf Anhieb verstanden.

Das klingt groß. Ist diese Idee realistisch – und was hat sie mit Future Skills zu tun?

Ob die Initiative am Ende Erfolg hat, kann heute niemand sagen – und es ist gar nicht der wichtigste Punkt. Entscheidend ist, was auf dem Weg dorthin passiert.

Ich habe das Glück, mit mehreren Friedensnobelpreisträgern in gutem Kontakt zu stehen – nicht nur mit Muhammad Yunus. Es gibt heute verschiedene Zusammenschlüsse von Nobelpreisträger:innen, die gemeinsam an Themen arbeiten.

Der erste „Club“ dieser Art geht übrigens auf Michael Gorbatschow zurück. Er hat früh erkannt, dass die Geehrten zusammen mehr bewirken können als jede und jeder für sich. Wir möchten diese Netzwerke dafür gewinnen, die Initiative zu unterstützen – oder selbst offizielle Vorschläge einzubringen. Ob sie das tun, ob sie an die Öffentlichkeit gehen oder es im Hintergrund halten, ist ihre Entscheidung.

Wichtiger ist: Wir wollen das Jahr bis zur Entscheidung – die traditionell um den 10. Oktober bekanntgegeben wird – nutzen, um weltweit eine Diskussion in Gang zu bringen:

  • Welche Bedeutung hat diese Generation wirklich?
  • Welche Freiräume braucht sie, um ihre Future Skills zu entfalten?
  • Wie befreien wir junge Menschen aus Denk- und Handlungsgefängnissen, die wir Älteren gebaut haben – oft in bester Absicht?

Selbst wenn der Preis am Ende nicht an die Kinder der Welt geht, wäre viel gewonnen, wenn sich das Bewusstsein verschiebt.

Sie verbinden also Future Skills, radikal neues Lernen und eine globale Symbolhandlung. Warum braucht es Ihrer Meinung nach diesen „Schub von unten“? Sind die politischen Systeme damit überfordert?

Ich habe großen Respekt vor Menschen, die heute in der Politik Verantwortung tragen. In den demokratischen Parteien gibt es viele, die es ehrlich meinen, und ich weiß, wie schwierig ihr Job ist.

Aber unsere Systeme sind historisch gewachsen, für eine andere Zeit gebaut. Sie sind nicht darauf ausgelegt, mit einer Welt umzugehen, in der:

  • Demokratie weltweit massiv unter Druck steht,
  • technologische Entwicklungen wie KI rasant voranschießen,
  • und globale Krisen – Klima, Biodiversität, soziale Spaltung – sich gegenseitig verstärken.

In solchen Situationen kamen entscheidende Impulse selten von oben. Denken Sie an die friedliche Revolution in der DDR: Die Veränderung kam aus der Zivilgesellschaft. Oder an Gorbatschow: Seine Ideen von Glasnost und Perestroika hat er nicht im Amt entwickelt, sondern lange vorher – beeinflusst von Vordenkern, von zivilgesellschaftlichen Bewegungen.

Ich glaube, wir stehen wieder an so einem Punkt. Wir können als Menschheit auf zwei Arten lernen:

  • Learning by Catastrophy – also erst, wenn das System kollabiert.
  • oder Learning by Intelligence – durch vorausschauende, mutige, menschliche Intelligenz.

Diese neue Intelligenz sind für mich die Future Skills. Wenn eine junge Generation lernt, ihre Vorstellungskraft, ihre Empathie, ihre Teamfähigkeit, ihre Achtsamkeit und ihre demokratischen Kompetenzen bewusst einzusetzen – dann haben wir eine Chance, die großen Krisen konstruktiv zu meistern, statt nur auf sie zu reagieren. Und genau dazu wollen wir mit der School of Future Skills und der Initiative für den Friedensnobelpreis für Kinder unseren Beitrag leisten.

Kommentare

Schreibe einen Kommentar

Deine E-Mail-Adresse wird nicht veröffentlicht. Erforderliche Felder sind mit * markiert